Heutzutage vertreiben viele Brauereien
besonders starke untergärige Biere für das Weihnachtsfest. In Hamburg gibt es
den Festbock, ein bernsteinfarbenes würziges Starkbier; in Bayern wird
ein dunkles Starkbier, der Ayinger Weihnachts-Bock gebraut; im
Schwarzwald wird ein dunkles Bockbier mit dem vielverheißenden Namen Wodan ausgeschenkt;
Osterreich wartet mit Hainfelder Weihnachtsbier und einem Fest-Bock auf;
in der Schweiz wird eines der stärksten Biere der Welt (14 Vol. % Alkohol!)
unter dem Namen Samichlaus (Sankt Nikolaus) in einer hellen und einer
dunklen Variante hergestellt. In den USA brauen viele kleinere Brauereien
sogenannte Christmas Beers oder Xmas Beers unter der Verwendung
von typisch weihnachtlichen Gewürzen wie Zimt, Kardamom, Nelken und Anis. In
Norwegen aber wird ein hopfenarmes Bockbier von goldbrauner Farbe mit dem
traditionsreichen Namen Jule gebraut und in großen Mengen zum Julfest
getrunken. All diese Biere sind eine bewusste oder unbewusste Erinnerung an die
Kulte und Rituale, die im alteuropäischen Heidentum zur Weihnachtszeit
stattgefunden haben.
Unser heutiges Weihnachtsfest mit
weißbärtigen Weihnachtsmännern, überbordenden Geschenken, üppigen Mahlzeiten
und gemütlichen Familienzusammenkünften ist eigentlich alles andere als ein
christliches Fest. Weihnachten ist zugleich ein Familien- wie auch ein
Volksfest. Ein Charakteristikum des Volksfestes ist die Tatsache, dass das Volk
zwar feiert, aber eigentlich gar nicht genau weiß, warum. Außerdem, so stellte
unlängst ein deutscher Volkskundler fest, dienen die Volksfeste den meisten
Feiernden nunmehr der Befriedigung privater Bedürfnisse und nicht mehr dem
ehemals rituellen Rahmen: "die Gemeinsamkeit der Feste werde weiterhin
durch isolierte Rauscherlebnisse ersetzt."
In der offiziellen christlichen Lesart
ist Weihnachten das Fest der Geburt Christi. Es war jedoch ein Beschluss des
Gegenpapstes Hippolytos (um 1217 n. Chr.), dass Jesus am 25. Dezember geboren
worden sei. Vorher herrschte ein heilloses Durcheinander: Der Legende nach ...
schien zunächst für die Christgeburt nur das Halbjahr Frühling bis Herbst in
Frage zu kommen, denn in Judäa können im Winter Menschen und Tiere kaum im
Freien nächtigen, so dass die Geburtsgeschichte von den Hirten auf dem Felde
einen winterlichen Termin un-wahrscheinlich machte. Man errechnete den 28.
März, den 2. oder 19. April, den 20. Mai, aber auch den 8. und den 18.
November. Dieser Gedanke nun, neue Feste als Gedenktage an das Leben des
Erlösers zu erfinden und zu feiern, wurde insbesondere von den Gnostikern
aufgenommen und verbreitet, einer religiös-philosophisch-sozialen Bewegung im
Mittelmeerraum, die sich vom Christentum nicht nur die Erfüllung ihrer Lehren
erhoffte, sondern auch die innere Erneuerung von älteren Kulten und Festen. -
Warum aber entschied der Gegenpapst, dass Jesus Christus am 25. Dezember
geboren worden sei?
Der 25. Dezember war ein wichtiger Termin
in den Kultkalendarien der heidnischen Religionen und antiken Mysterienkulte.
Im spätantiken Rom feierte man vom 17. bis zum 24. Dezember die wüsten
Saturnalien, Orgien von exzessiver Zügellosigkeit zu Ehren des Gottes Saturnus,
dem Herrn des Ackerbaus, der Obst- und Weinkultur. In dieser Zeit waren alle
gesellschaftlichen und kulturellen Schranken aufgehoben. Herren und Sklaven
verkehrten in karnevalistischer Ausgelassenheit miteinander, man schenkte sich
Tonfiguren und Kerzen. Kaum hatten sich die Massenberauschungen und sexuellen
Freizügigkeiten am Abend des 24. gelegt, begann auch schon das nächste Fest,
die Geburt des Gottes Sol Invictus ("Unbesiegbare Sonne") oder
des Mithras. Mithras war ein strahlender Sonnengott, der aus Kleinasien in das
römische Imperium eingewandert ist und der in geheimen Mysterien verehrt wurde.
Obwohl der Kult des Mithras für ganz Mittel- und Südeuropa belegt ist, weiß man
doch wegen des Schweigegelöbnisses der Kultanhänger nur sehr wenig darüber.
Mithras, der aus dem Felsen geborene Schöpfergott, galt allgemein als ein
siegreicher - invictus - Kämpfer gegen die Kräfte der Finsternis. Er
befreite die Sonne nach der Sonnenwende aus den Klauen der Dunkelheit und ließ
sie neu erstrahlend das kommende Jahr bescheinen.
"Die Heiden pflegten nämlich am 25.
Dezember das Fest des Geburtstages der Sonne zu feiern und zu Ehren des Tages
Feuer anzuzünden. Zu diesen Riten luden sie sogar das Christenvolk ein. Da nun
die Lehrer der Kirche wahrnahmen, dass sich auch Christen zur Teilnahme
verleiten ließen, beschlossen sie, am selben lag das Fest der wahren Geburt zu
begehen", so ein syrischer Glossator des 6. Jahrhunderts. So wurde der 25.
Dezember, der Natalis Invicti, der "Geburtstag des unbesiegten
Gottes", in die Geburt Jesu Christi umgedeutet. Hinzu kam die Tatsache,
dass ebenfalls zur Zeit der Wintersonnenwende in Rom innerhalb des
ekstatischen, aus Ägypten importierten Isis-Kultes um die mächtige Göttin der
Magie und der Zauberkräuter die Geburt des Horus-Kincies gefeiert wurde. Es
verwundert nun auch nicht mehr, dass die Christen aus dem Geburtstag des
Dionysos, der mit erotischen Ritualen am 6. Januar gefeiert wurde, den Tag der
Heiligen Brei Könige machten. Bei all diesen Festen spielten berauschende
Tränke und spezielle Speisen eine wichtige Rolle.
Das Bier als Weihnachts-Rauschmittel geht
auf die nordischen Traditionen, namentlich auf das Julfest, zurück, dessen
ältestes schriftliches Zeugnis von Beda Venerabilis (674 - 735 n. Chr.) stammt.
Er schildert es als Totenfest und Fruchtbarkeitskult um die Zeit der
Wintersonnenwende. Das Sonnenwendfest ist für Skandinavien, damals gemeinhin
unter dem Namen Thule bekannt, schon durch den Bericht des Römers Prokop
belegt. Darin drückt sich die tiefe Verehrung der Sonne aus, die nach der
Sonnenwende wieder am Himmel erscheint.
Das Julfest findet in Skandinavien
traditionell zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar, also während der ganzen
Julzeit, statt. Im Mittelpunkt dieses wichtigen Festes stand früher der Gott
Odin oder Wodan (Wotan) und sein Sohn Thor oder Donar (Donner). Odin/Wodan war
der Gott der Erkenntnis, der Runenmagie oder der Totengeleite. Deshalb wurden
in der Julzeit besonders die Toten, also die Ahnen und Vorväter, geehrt. Man
brachte ihnen im Kreise der Sippe Seelenopfer in Form eines Seelenbieres und
anderer Nahrungsmittel. "Nach der Verehrung der Toten wandte man sich mit
neuer Kraft dem Leben zu, blickte voller Zuversicht in die Zukunft in dem
Bewusstsein des ewigen Kreislaufs des Lebens, dass nach jedem Sterben neues
Leben aufkeimte, nach jedem Winter ein Frühling kam und nach der Dunkelheit das
Licht." In neuzeitlichen nordischen Bräuchen erscheinen erstmals die
Julböcke, die zu Anfang der Julzeit (heutzutage am l. Advent) aus Stroh in der
Gestalt von Böcken gebunden werden. Diese Opferpuppen werden in der
Mitwinternacht oder am 24. Dezember verbrannt, die wiedergeborene und
zurückkehrende Sonne zu begrüßen. Es gehörte zum Fest, dass sich Mädchen und
Jungen als Ziegen und Böcke verkleideten. Die Böcke waren wie das Bier dem
Fruchtbarkeitsgott Thor heilig."
In der Julzeit wurde auch der
Vegetations- und Fruchtbarkeitsgott Freyr (Froh), der das Wachstum des
Getreides bewirkte und somit den Grundstoff des Bieres zur Verfügung stellte,
verehrt. In der Saga von Hervör wird das Julopfer an Freyr beschrieben:
"König Heidrek brachte Freyr ein Opfer dar; er wollte Freyr den größten
Eber anbieten, auf dessen Borsten man in allen wichtigen Angelegenheiten
schwören musste. Dieser Eber nun sollte als Sühneopfer dargebracht werden; dort
pflegten die Männer die Hände auf seine Borsten zu legen und heilige Gelübde
abzulegen.
Bei derartigen Gelübden, die durch das
gemeinsame Leeren eines geweihten Trinkhorns gefüllt mit Bier besiegelt wurden,
rief man die Götter der Fruchtbarkeit und des Bieres an: "So helfe mir
Njörd und Freyr und der allmächtige Ase. So wie sich alle Rituale, seien sie
noch so alt, rudimentär erhalten, hat sich der Eberschwur ebenfalls erhalten.
Bei den neuzeitlichen Weihnachtsfesten in England wurde ein gekochter Eberkopf
aufgetragen, dem die Anwesenden eine Hand auflegten, Gesänge und Gelübde von
sich gebend. Ebenfalls in die Julzeit fiel das Große Opfer von Uppsala. Es
fand nur alle neun Jahre im Mitwinter statt." Der mystischen Zahl neun
entsprechend wurden während des neun Tage andauernden Festes jeweils neun Opfer
von "jeder" Sorte Lebewesen geopfert, darunter Menschen, Pferde,
Schweine, Böcke und Gänse. Es gab also für jedes der kommenden neun Jahre ein
Opfer. Bei diesem Fest wurden Freyr, Thor und Odin, der allmächtige Ase, dessen
Symbolzahl die Neun war, verehrt. Die Menschen, weiße Pferde und Gänse wurden
dem Odin, die schwarzen Pferde und Schweine dem Freyr, die Böcke aber dem Thor
geopfert. Die Opferhandlungen wurden von erotischen Tänzen, komödiantischen Darbietungen
und Liedern, die dem christlichen Berichterstatter Adam von Bremen als "zu
unsittlich, als dass man sie wiedergeben könnte", klangen,
begleitet." Offensichtlich spielte auch eine sexuelle Zügellosigkeit mit
allen erdenklichen Praktiken (ritueller Analkoitus, Transvestie und
homosexuelle Handlungen") zu Ehren Freyrs eine wichtige Rolle beim
Uppsala-Opfer. Diese sexuellen Ausschweifungen sollten besondere magische
Kräfte freisetzen.
Dem Odin waren die Esche und die Alraune
heilig, beide wurden dem Bier zugesetzt. Dem Freyr war die Eberwurz, die sowohl
als Gärstoff als auch als Biergewürz bekannt ist, geweiht. Dem Thor aber war
die Eiche zugehörig, deren Rinde dem Bier den rechten Bitterstoff
verlieh." Welcher Bierzusatz konnte aber geeignet sein, das Julbier so zu
würzen, dass es die angestrebten erotischen Rituale und die Nähe der Götter
bewirkte? Weder das Eschenlaub, noch die Eberwurz oder die Eichenrinde
enthalten entsprechende Wirkstoffe, wohl aber die Alraune. Die Alraune wächst
aber nicht in Skandinavien und ist auch sonst in germanischen Gebieten zu
selten, als dass sie für Volksfeste zum Bier verbraut hätte werc1en
können." Der Hauptkandidat für den entsprechenden Wirkstoff des alten
Julbieres ist der Fliegenpilz.
Zwischen Weihnachten und Neujahr werden
kleine Pappmachenachbildungen von Fliegenpilzen verkauft. Der Fliegenpilz gilt
gemeinhin als ein glücksverheißendes Symbol für das kommende Jahr, für die
lichterfüllte Zukunft. Seine typischen Farben Rot und Weiß sind schließlich die
Farben der Kostüme der Weihnachtsmänner."
Der Ursprung des Fliegenpilzes wird nach
südgermanischer Überlieferung mit Odin/Wotan und dessen wilder Jagd
("Wildes Heer/Wütis Heer") assoziiert: "Der Gott Wotan ritt am
Weihnachtsabend auf seinem Pferd aus und wurde plötzlich von Teufeln verfolgt.
Das Pferd fing an zu galoppieren, und dabei tropfte rotgesprenkelter Schaum von
seinem Maul. Wo der Schaum hinfiel, erschienen im folgenden Jahr die bekannten
weißgefleckten, roten Hüte der Fliegenpilze.
Der Fliegenpilz war früher auch unter dem
Namen Rabenbrot bekannt." Nun waren aber die Raben ebenfalls dem
Wotan/Odin heilig; mehr noch, er besaß zwei Raben - Hugin,
"Gedanke/Denken", und Munin, "Gedächtnis/Erinnerung",
genannt -, die ihm stets berichteten, was in der Welt vor sich geht."
Diese beiden Raben, gleichzeitig die seherischen, schamanischen Augen des
Gottes, als auch die wichtigsten Funktionen des Gehirns symbolisierend,
ernährten sich - der Sage nach - vom Rabenbrot, dem Fliegenpilz. Der
Fliegenpilz aber ist ein uraltes Sakrament der Seher und Schamanen der
nördlichen Hemisphäre." Der gezielte Genuss des Pilzes bewirkte Einblicke
in die Geheimnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, er ließ
Lichterscheinungen und Lichtwesen auftreten und schenkte aphrodisische Seligkeit.
Wer den Fliegenpilz einnimmt, gibt seinen inneren Raben, seinem Denken
und seiner Erinnerung, gutes Futter, wie es sich für das Minnebier, den
"Erinnerungstrunk", gebührt. Und im Julfest geht es um die Erinnerung
an die Ahnen und das Denken an die Zukunft.
Der Fliegenpilz ist in allen germanischen
Gebieten Mittel- und Nordeuropas weit verbreitet. Er ist sicherlich die
häufigste wilde Rauschpflanze und tauchte früher unter dem volkstümlichen Namen
Narrenschvamm in der Literatur auf. Es heißt auch, dass die Germanen
ihren Rauschtrünken neben Honig und Eichenrinde auch Narrenschwämme
zusetzten." Die sibirischen Kamschadalen und Korjaken lassen Mixturen aus
getrocknetem Fliegenpilz, der bei ihnen Muchumor oder Naliv heißt,
ausgepressten Rauschbeeren und Getreiden (Wildgräser, Gerstenarten) gären und
nehmen dieses Bier rituell zu sich:" "Der Muchumor der Korjaken, ein
Gebräu aus Fichten, Tannen, Roggen, Gerste und einer bei ihnen wachsenden
Pflanze Naliv genannt, das angeblich so gut schmeckt, dass die Armen,
die sich dieses Getränk nicht erzeugen, da nur die Vornehmen es bei ihren
Festen genießen, sich um die Häuser derselben lagern und wenn einer derselben
sein Wasser abschlägt, dasselbe in Schalen auffangen und sich von demselben
berauschen. Der Wirkstoff des Fliegenpilzes wird unverändert mit dem Urin
wieder aus-geschieden. Wer also den Urin eines Fliegenpilz-berauschten trinkt,
der wird selber einen Rausch erleben.
(Autor unbekannt, vermutlich entstammt der Beitrag dem Buch „Bier jenseits von Hopfen und Malz“ von Christian Rätsch. Bei Info über Autor und ggfs. Copyright bitte eMail an thomas [Admin hobbybrauer.de] senden.)