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Der Julbock
Geschrieben am Mittwoch, 13. November 2002 von hobbybrauer

Interessantes zum Bier und Bierbrauen Heutzutage vertreiben viele Brauereien besonders starke untergärige Biere für das Weihnachtsfest. In Hamburg gibt es den Festbock, ein bernsteinfarbenes würziges Starkbier; in Bayern wird ein dunkles Starkbier, der Ayinger Weihnachts-Bock gebraut; im Schwarzwald wird ein dunkles Bockbier mit dem vielverheißenden Namen Wodan ausgeschenkt; Osterreich wartet mit Hainfelder Weihnachtsbier und einem Fest-Bock auf; in der Schweiz wird eines der stärksten Biere der Welt (14 Vol. % Alkohol!) unter dem Namen Samichlaus (Sankt Nikolaus) in einer hellen und einer dunklen Variante hergestellt. In den USA brauen viele kleinere Brauereien sogenannte Christmas Beers oder Xmas Beers unter der Verwendung von typisch weihnachtlichen Gewürzen wie Zimt, Kardamom, Nelken und Anis. In Norwegen aber wird ein hopfenarmes Bockbier von goldbrauner Farbe mit dem traditionsreichen Namen Jule gebraut und in großen Mengen zum Julfest getrunken. All diese Biere sind eine bewusste oder unbewusste Erinnerung an die Kulte und Rituale, die im alteuropäischen Heidentum zur Weihnachtszeit stattgefunden haben.

Unser heutiges Weihnachtsfest mit weißbärtigen Weihnachtsmännern, überbordenden Geschenken, üppigen Mahlzeiten und gemütlichen Familienzusammenkünften ist eigentlich alles andere als ein christliches Fest. Weihnachten ist zugleich ein Familien- wie auch ein Volksfest. Ein Charakteristikum des Volksfestes ist die Tatsache, dass das Volk zwar feiert, aber eigentlich gar nicht genau weiß, warum. Außerdem, so stellte unlängst ein deutscher Volkskundler fest, dienen die Volksfeste den meisten Feiernden nunmehr der Befriedigung privater Bedürfnisse und nicht mehr dem ehemals rituellen Rahmen: "die Gemeinsamkeit der Feste werde weiterhin durch isolierte Rauscherlebnisse ersetzt."

In der offiziellen christlichen Lesart ist Weihnachten das Fest der Geburt Christi. Es war jedoch ein Beschluss des Gegenpapstes Hippolytos (um 1217 n. Chr.), dass Jesus am 25. Dezember geboren worden sei. Vorher herrschte ein heilloses Durcheinander: Der Legende nach ... schien zunächst für die Christgeburt nur das Halbjahr Frühling bis Herbst in Frage zu kommen, denn in Judäa können im Winter Menschen und Tiere kaum im Freien nächtigen, so dass die Geburtsgeschichte von den Hirten auf dem Felde einen winterlichen Termin un-wahrscheinlich machte. Man errechnete den 28. März, den 2. oder 19. April, den 20. Mai, aber auch den 8. und den 18. November. Dieser Gedanke nun, neue Feste als Gedenktage an das Leben des Erlösers zu erfinden und zu feiern, wurde insbesondere von den Gnostikern aufgenommen und verbreitet, einer religiös-philosophisch-sozialen Bewegung im Mittelmeerraum, die sich vom Christentum nicht nur die Erfüllung ihrer Lehren erhoffte, sondern auch die innere Erneuerung von älteren Kulten und Festen. - Warum aber entschied der Gegenpapst, dass Jesus Christus am 25. Dezember geboren worden sei?

Der 25. Dezember war ein wichtiger Termin in den Kultkalendarien der heidnischen Religionen und antiken Mysterienkulte. Im spätantiken Rom feierte man vom 17. bis zum 24. Dezember die wüsten Saturnalien, Orgien von exzessiver Zügellosigkeit zu Ehren des Gottes Saturnus, dem Herrn des Ackerbaus, der Obst- und Weinkultur. In dieser Zeit waren alle gesellschaftlichen und kulturellen Schranken aufgehoben. Herren und Sklaven verkehrten in karnevalistischer Ausgelassenheit miteinander, man schenkte sich Tonfiguren und Kerzen. Kaum hatten sich die Massenberauschungen und sexuellen Freizügigkeiten am Abend des 24. gelegt, begann auch schon das nächste Fest, die Geburt des Gottes Sol Invictus ("Unbesiegbare Sonne") oder des Mithras. Mithras war ein strahlender Sonnengott, der aus Kleinasien in das römische Imperium eingewandert ist und der in geheimen Mysterien verehrt wurde. Obwohl der Kult des Mithras für ganz Mittel- und Südeuropa belegt ist, weiß man doch wegen des Schweigegelöbnisses der Kultanhänger nur sehr wenig darüber. Mithras, der aus dem Felsen geborene Schöpfergott, galt allgemein als ein siegreicher - invictus - Kämpfer gegen die Kräfte der Finsternis. Er befreite die Sonne nach der Sonnenwende aus den Klauen der Dunkelheit und ließ sie neu erstrahlend das kommende Jahr bescheinen.

"Die Heiden pflegten nämlich am 25. Dezember das Fest des Geburtstages der Sonne zu feiern und zu Ehren des Tages Feuer anzuzünden. Zu diesen Riten luden sie sogar das Christenvolk ein. Da nun die Lehrer der Kirche wahrnahmen, dass sich auch Christen zur Teilnahme verleiten ließen, beschlossen sie, am selben lag das Fest der wahren Geburt zu begehen", so ein syrischer Glossator des 6. Jahrhunderts. So wurde der 25. Dezember, der Natalis Invicti, der "Geburtstag des unbesiegten Gottes", in die Geburt Jesu Christi umgedeutet. Hinzu kam die Tatsache, dass ebenfalls zur Zeit der Wintersonnenwende in Rom innerhalb des ekstatischen, aus Ägypten importierten Isis-Kultes um die mächtige Göttin der Magie und der Zauberkräuter die Geburt des Horus-Kincies gefeiert wurde. Es verwundert nun auch nicht mehr, dass die Christen aus dem Geburtstag des Dionysos, der mit erotischen Ritualen am 6. Januar gefeiert wurde, den Tag der Heiligen Brei Könige machten. Bei all diesen Festen spielten berauschende Tränke und spezielle Speisen eine wichtige Rolle.

Das Bier als Weihnachts-Rauschmittel geht auf die nordischen Traditionen, namentlich auf das Julfest, zurück, dessen ältestes schriftliches Zeugnis von Beda Venerabilis (674 - 735 n. Chr.) stammt. Er schildert es als Totenfest und Fruchtbarkeitskult um die Zeit der Wintersonnenwende. Das Sonnenwendfest ist für Skandinavien, damals gemeinhin unter dem Namen Thule bekannt, schon durch den Bericht des Römers Prokop belegt. Darin drückt sich die tiefe Verehrung der Sonne aus, die nach der Sonnenwende wieder am Himmel erscheint.

Das Julfest findet in Skandinavien traditionell zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar, also während der ganzen Julzeit, statt. Im Mittelpunkt dieses wichtigen Festes stand früher der Gott Odin oder Wodan (Wotan) und sein Sohn Thor oder Donar (Donner). Odin/Wodan war der Gott der Erkenntnis, der Runenmagie oder der Totengeleite. Deshalb wurden in der Julzeit besonders die Toten, also die Ahnen und Vorväter, geehrt. Man brachte ihnen im Kreise der Sippe Seelenopfer in Form eines Seelenbieres und anderer Nahrungsmittel. "Nach der Verehrung der Toten wandte man sich mit neuer Kraft dem Leben zu, blickte voller Zuversicht in die Zukunft in dem Bewusstsein des ewigen Kreislaufs des Lebens, dass nach jedem Sterben neues Leben aufkeimte, nach jedem Winter ein Frühling kam und nach der Dunkelheit das Licht." In neuzeitlichen nordischen Bräuchen erscheinen erstmals die Julböcke, die zu Anfang der Julzeit (heutzutage am l. Advent) aus Stroh in der Gestalt von Böcken gebunden werden. Diese Opferpuppen werden in der Mitwinternacht oder am 24. Dezember verbrannt, die wiedergeborene und zurückkehrende Sonne zu begrüßen. Es gehörte zum Fest, dass sich Mädchen und Jungen als Ziegen und Böcke verkleideten. Die Böcke waren wie das Bier dem Fruchtbarkeitsgott Thor heilig."

In der Julzeit wurde auch der Vegetations- und Fruchtbarkeitsgott Freyr (Froh), der das Wachstum des Getreides bewirkte und somit den Grundstoff des Bieres zur Verfügung stellte, verehrt. In der Saga von Hervör wird das Julopfer an Freyr beschrieben: "König Heidrek brachte Freyr ein Opfer dar; er wollte Freyr den größten Eber anbieten, auf dessen Borsten man in allen wichtigen Angelegenheiten schwören musste. Dieser Eber nun sollte als Sühneopfer dargebracht werden; dort pflegten die Männer die Hände auf seine Borsten zu legen und heilige Gelübde abzulegen.

Bei derartigen Gelübden, die durch das gemeinsame Leeren eines geweihten Trinkhorns gefüllt mit Bier besiegelt wurden, rief man die Götter der Fruchtbarkeit und des Bieres an: "So helfe mir Njörd und Freyr und der allmächtige Ase. So wie sich alle Rituale, seien sie noch so alt, rudimentär erhalten, hat sich der Eberschwur ebenfalls erhalten. Bei den neuzeitlichen Weihnachtsfesten in England wurde ein gekochter Eberkopf aufgetragen, dem die Anwesenden eine Hand auflegten, Gesänge und Gelübde von sich gebend. Ebenfalls in die Julzeit fiel das Große Opfer von Uppsala. Es fand nur alle neun Jahre im Mitwinter statt." Der mystischen Zahl neun entsprechend wurden während des neun Tage andauernden Festes jeweils neun Opfer von "jeder" Sorte Lebewesen geopfert, darunter Menschen, Pferde, Schweine, Böcke und Gänse. Es gab also für jedes der kommenden neun Jahre ein Opfer. Bei diesem Fest wurden Freyr, Thor und Odin, der allmächtige Ase, dessen Symbolzahl die Neun war, verehrt. Die Menschen, weiße Pferde und Gänse wurden dem Odin, die schwarzen Pferde und Schweine dem Freyr, die Böcke aber dem Thor geopfert. Die Opferhandlungen wurden von erotischen Tänzen, komödiantischen Darbietungen und Liedern, die dem christlichen Berichterstatter Adam von Bremen als "zu unsittlich, als dass man sie wiedergeben könnte", klangen, begleitet." Offensichtlich spielte auch eine sexuelle Zügellosigkeit mit allen erdenklichen Praktiken (ritueller Analkoitus, Transvestie und homosexuelle Handlungen") zu Ehren Freyrs eine wichtige Rolle beim Uppsala-Opfer. Diese sexuellen Ausschweifungen sollten besondere magische Kräfte freisetzen.

Dem Odin waren die Esche und die Alraune heilig, beide wurden dem Bier zugesetzt. Dem Freyr war die Eberwurz, die sowohl als Gärstoff als auch als Biergewürz bekannt ist, geweiht. Dem Thor aber war die Eiche zugehörig, deren Rinde dem Bier den rechten Bitterstoff verlieh." Welcher Bierzusatz konnte aber geeignet sein, das Julbier so zu würzen, dass es die angestrebten erotischen Rituale und die Nähe der Götter bewirkte? Weder das Eschenlaub, noch die Eberwurz oder die Eichenrinde enthalten entsprechende Wirkstoffe, wohl aber die Alraune. Die Alraune wächst aber nicht in Skandinavien und ist auch sonst in germanischen Gebieten zu selten, als dass sie für Volksfeste zum Bier verbraut hätte werc1en können." Der Hauptkandidat für den entsprechenden Wirkstoff des alten Julbieres ist der Fliegenpilz.

Zwischen Weihnachten und Neujahr werden kleine Pappmachenachbildungen von Fliegenpilzen verkauft. Der Fliegenpilz gilt gemeinhin als ein glücksverheißendes Symbol für das kommende Jahr, für die lichterfüllte Zukunft. Seine typischen Farben Rot und Weiß sind schließlich die Farben der Kostüme der Weihnachtsmänner."

Der Ursprung des Fliegenpilzes wird nach südgermanischer Überlieferung mit Odin/Wotan und dessen wilder Jagd ("Wildes Heer/Wütis Heer") assoziiert: "Der Gott Wotan ritt am Weihnachtsabend auf seinem Pferd aus und wurde plötzlich von Teufeln verfolgt. Das Pferd fing an zu galoppieren, und dabei tropfte rotgesprenkelter Schaum von seinem Maul. Wo der Schaum hinfiel, erschienen im folgenden Jahr die bekannten weißgefleckten, roten Hüte der Fliegenpilze.

Der Fliegenpilz war früher auch unter dem Namen Rabenbrot bekannt." Nun waren aber die Raben ebenfalls dem Wotan/Odin heilig; mehr noch, er besaß zwei Raben - Hugin, "Gedanke/Denken", und Munin, "Gedächtnis/Erinnerung", genannt -, die ihm stets berichteten, was in der Welt vor sich geht." Diese beiden Raben, gleichzeitig die seherischen, schamanischen Augen des Gottes, als auch die wichtigsten Funktionen des Gehirns symbolisierend, ernährten sich - der Sage nach - vom Rabenbrot, dem Fliegenpilz. Der Fliegenpilz aber ist ein uraltes Sakrament der Seher und Schamanen der nördlichen Hemisphäre." Der gezielte Genuss des Pilzes bewirkte Einblicke in die Geheimnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, er ließ Lichterscheinungen und Lichtwesen auftreten und schenkte aphrodisische Seligkeit. Wer den Fliegenpilz einnimmt, gibt seinen inneren Raben, seinem Denken und seiner Erinnerung, gutes Futter, wie es sich für das Minnebier, den "Erinnerungstrunk", gebührt. Und im Julfest geht es um die Erinnerung an die Ahnen und das Denken an die Zukunft.

Der Fliegenpilz ist in allen germanischen Gebieten Mittel- und Nordeuropas weit verbreitet. Er ist sicherlich die häufigste wilde Rauschpflanze und tauchte früher unter dem volkstümlichen Namen Narrenschvamm in der Literatur auf. Es heißt auch, dass die Germanen ihren Rauschtrünken neben Honig und Eichenrinde auch Narrenschwämme zusetzten." Die sibirischen Kamschadalen und Korjaken lassen Mixturen aus getrocknetem Fliegenpilz, der bei ihnen Muchumor oder Naliv heißt, ausgepressten Rauschbeeren und Getreiden (Wildgräser, Gerstenarten) gären und nehmen dieses Bier rituell zu sich:" "Der Muchumor der Korjaken, ein Gebräu aus Fichten, Tannen, Roggen, Gerste und einer bei ihnen wachsenden Pflanze Naliv genannt, das angeblich so gut schmeckt, dass die Armen, die sich dieses Getränk nicht erzeugen, da nur die Vornehmen es bei ihren Festen genießen, sich um die Häuser derselben lagern und wenn einer derselben sein Wasser abschlägt, dasselbe in Schalen auffangen und sich von demselben berauschen. Der Wirkstoff des Fliegenpilzes wird unverändert mit dem Urin wieder aus-geschieden. Wer also den Urin eines Fliegenpilz-berauschten trinkt, der wird selber einen Rausch erleben.

(Autor unbekannt, vermutlich entstammt der Beitrag dem Buch „Bier jenseits von Hopfen und Malz“ von Christian Rätsch. Bei Info über Autor und ggfs. Copyright bitte eMail an thomas [Admin hobbybrauer.de] senden.)

 

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