Viele Starkbiere heißen heutzutage Bock,
Steinbock, Doppelbock oder gar Ur-Bock. Auf Bieretiketten,
Wirtshausschildern und in der Werbung erscheinen Ziegenböcke, Widder,
Steinböcke und bocksgestaltige Teufel.
Der Begriff "Bock" in
Verbindung mit Bier ist die letzte Erinnerung an den heidnischen Ritualtrank,
an den Ur-Bock in seiner ursprünglichen Form.
Biere und Böcke gehören seit mindestens
sechstausend Jahren zusammen. Bier und Bock sind die Insignien einer auf
Getreideanbau und Hirtentum basierenden Kultur. Über der Darstellung eines
babylonischen Opferkrugs schwebt ein Bock. Ischtar, der Liebes- und Biergöttin
wurden neben dem Opferbier auch Opferböcke dargebracht. Die Ägypter von Mendes
verehrten Ziegenböcke und Widder als Götter und brachten ihnen Trankopfer mit
Bier dar. Der Bock ist das Ur-Symbol der natürlichen Sexualität, der
Fruchtbarkeit und der zügellosen Kultur. Das Bier ist das Symbol für die
menschliche Kultur. Im Bier- und Bockopfer vollzieht sich die Hochzeit von
Natur und Kultur. Der Mensch dankt der Natur, weil er von ihr vollständig abhängig
ist.
Aus der Antike stammen einige Götter, die
Mischwesen aus Männern und Böcken sind. Der arkadische Hirtengott Pan hat den
Oberkörper eines Mannes, aber die Beine eines Ziegenbockes. Ihn zieren zwei
Bockshörner und ein gewaltiger Penis, der sich beim Anblick jedes weiblichen
Wesens in deutlich sichtbare Erregung versetzt. Pan liebte nichts so sehr, wie
den Frauen, Göttinnen und Nymphen nachzustellen, faul in der Nachmittagssonne
zu verweilen und sich allen erdenklichen Räuschen hinzugeben. So trat er auch
in die orgiastisch-wilde Gefolgschaft des Dionysos ein, tanzte und frohlockte
mit den bocksbeinigen Satyrn und jagte die ekstatisch verzückten Mänaden und
liebreizenden Nymphen.
Dionysos oder Bacchos gilt heute
gemeinhin als Gott des Weines. Aber die Phrygier und Thraker, zwei Völker, die
nördlich von Hellas auf dem Gebiet des heutigen Balkan lebten, verehrten ihn
auch als Gott des Bieres, den sie Sabazios und später auch Dionysos Sabazios
nannten.
"Die Mendesier rechnen Pan unter die
acht Götter, die, wie sie glauben, älter sind als die zwölf Götter. Nun stellen
die Maler und Bildhauer den Pan, eben wie bei den Hellenen, ziegenköpfig und
ziegenfüßig dar, nicht etwa, weil sie ihm solche Gestalt zuschreiben, er gilt
ihnen vielmehr den anderen Götter gleich; den Grund aber, veshalb sie ihn so
darstellen, mag ich nicht gern sagen. Sie halten zwar alle Ziegen heilig,
jedoch mehr die männlichen als die veiblichen, und deren Hirten stehen in
höherem Ansehen als die Hirten anderer Tiere. Ein bestimmter Ziegenbock aber
vird ganz besonders verehrt. Stirbt dieser, so trägt der ganze mendesische Gau
grosse Trauer um ihn. Nun heißt der Bock, ebenso wie Pan, auf ägyptisch Mendes.
Und in diesem Gau ist zu meiner Zeit das Wunder geschehen, dass sich ein Bock
mit einem Weibe vor aller Augen begattete. Dies ist allen Menschen bekannt.
"
Herodot
II, 46
Der Name leitet sich von dem illyrischen
Wort sabaja, "Bier", ab. Das berauschende Nationalgetränk der
Thraker und Phrygier war ein ungehopftes, starkes Bier, das aus Dinkel gebraut
wurde. Dinkel hieß tragos, und dieses Wort bedeutete auch
"Ziegenbock". Unser Wort Tragödie stammt von dem griechischen tragodia,
wörtlich "Gesang der Böcke" oder "Bocksgesang". Demnach
kann Nietzsches Theorie der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik auch
interpretiert werden als Geburt der Tragödie aus dem Geiste des Bieres. Oder
war es die Geburt des Geistes aus dem Bier?
Sabazios galt den Thrakern und Phrygiern
als der Gott des Ackerbaus, der Fruchtbarkeit und des Wachstums, der Geburtshilfe
und als Gott des mystischen Rausches, des göttlichen Wahnsinns. Ihm zu Ehren
wurden Mysterien gefeiert, wobei die Mysten mit einem berauschenden Bier in
Ekstase versetzt und in die Geheimnisse von Leben, Tod, Wiedergeburt und
Fruchtbarkeit, sprich in die inneren Zusammenhänge der Natur, eingeweiht
wurden. Die Mysterien des Sabazios fanden zum Früh-jahrsfest statt, das im
Zeichen des Widders, also eines Bockes, stand. Zu den Attributen des Sabazios
gehörten Kornähren und Frösche oder Kröten. Aus diesen Amphibien wurden im
Altertum die berühmten Liebestränke der thessalischen Hexen gebraut.
Die thrakischen Mysterien des Sabazios
hielten später Einzug in das Römische Reich, wo man die Thraker Sabaiarii, "Biertrinker",
nannte. Die Römer, die sich von diesem Kult angezogen fühlten oder die darüber
geschrieben haben, identifizierten den Sabazios mit ihrem Gott Jupiter, dem
Herrn des Blitzes und des Donners. Jupiter war mit dem Getreide verbunden; ihm
wurden Hirse und vor allem Gerste geopfert. Die Iden, die Vollmondtage, waren
ihm heilig. Sein wichtigstes Fest, die Judi Romana, fand vom vierten bis
zum neunzehnten September statt, also etwa zu Erntedank. Als die Römer in die
germanischen Gebiete vordrangen und über die Götter der "kulturlosen
Barbaren" berichteten, identifizierten sie den fremden Donnergott Donar
(Thor) mit ihrem heimischen Jupiter (besonders dem Jupiter tonans). Die
Germanen erkannten umgekehrt in dem römischen Jupiter ihren Donnergott. Sie
übernahmen die römischen Namen der Wochentage, die nach den Göttern benannt
waren. Der römische Tag Jovis dies, der "Tag des Jupiters",
wurde als Donnerstag, "Tag des Donars", in das Germanische
übersetzt.º
Dem Donar waren die Böcke, sowohl
Ziegenböcke als auch Widder, geweiht," die ihm zu Ehren bei großen Opferfesten
mit anschließenden Trinkgelagen geopfert wurden. Donar war aber auch der Gott
des Bieres, dem der größte Durst zugeschrieben wurde. Bei einer Wette sollte er
das Trinkhorn eines Riesen mit drei Zügen leeren. Das Trinkhorn aber war durch
eine List mit dem Weltmeer, übrigens Sitz des Meeresgottes Ägir, der oft für
die Götterfeste kräftiges Bier braute, verbunden. Der Donnergott trank soviel
von diesem Meer aus Bier, dass sich der Wasserspiegel drastisch senkte. So
entstanden Ebbe und Flut."
Donar wurde als Schutzherr des
Bierbrauens angerufen. Seine heiligen Pflanzen sollten das Bier vor dem
Umkippen schützen. Der Gott erscheint in vielen Darstellungen mit Bocksbeinen,
Pferdeschweif, Hörnern und einem riesigen Phallus - sozusagen eine germanische
Ausgabe des griechischen Pan.
Das wichtigste Fest des Donnergottes fand
im Frühjahr statt. Bei dem Opfer des geweihten Widders, der schlicht Bock
genannt wurde, gab es einen Opfertrank aus Starkbier," der schon in frühen
Quellen als Namensgeber für das Bockbier angeführt wird." Noch bis zum
Jahre 1854 trank man in der Jachenau im Iserwinkel beim Schlachten eines
Widders ein besonderes Starkbier.
Der Ur-Bock, der Trank des heidnischen
Bockopfers, war also Teil des Rituals zu Frühlingsbeginn, ein Bock-Bier, das magische
und aphrodisische Eigenschaften besaß.
Die Germanen verwendeten den Beifuss (Artemisia
vu-garis) als Würzkraut des Bieres," das auch unter dem Namen Roter
Bock bekannt war. Ein "Rotes Bock-Bier" hatte, bedingt durch das
ätherische Öl des Beifusses, zweifellos stark berauschende und aphrodisische
Eigenschaften. Beifuss ist seit dem Altertum als Fruchtbarkeitsspender,
Heilmittel bei Frauenkrankheiten und als Erwecke der Liebeslust bekannt."
In der frühen Neuzeit gab es im Bistum Wollin in Pommern ein Bier, das Bockhänger
hieß, und als ein "wollüstiges Bier" bekannt war."
Schließlich ist der Ziegenbock ein
uraltes Maskottchen und Abzeichen der Brauer und Brauereien. Das Zeichen des
Bockes sollte eine magische Schutzwirkung auf das Vieh ausüben und unerwünschte
Krankheiten vertreiben."
Die bierselige Bierliteratur"
vertritt eine andere Version der Etymologie des Bockbieres. Das Bayerische
Wörterbuch in der Ausgabe von 1872 gibt folgende Erklärung: "Wie aus
Einbecker- oder Einbeckerbier dem gemeinen Mann, der in jedem ihm fremden
Ausdruck gern einen handgreiflichen Sinn legt, Ainbock und endlich gar Bock
werden konnte, ist begreiflich. Diese volkstümliche Neuformung ist indessen
schon ein paar Jahrhunderte alt." Ganz ähnlich heißt es noch in der neuesten,
der 18. Auflage des Großen Brockhaus: "Bockbier [aus bayr.
Einbeck], Bock, Starkbier mit mindestens 16% Stammwürze, ursp. im März gesotten
..."
Nun ist in Einbeck, einem Ort der
norddeutschen Hanse, seit dem 13. Jahrhundert das Brauen bezeugt. Die Einbecker
Brauer verfeinerten im Laufe der Zeit ihre Kunst und brauten immer stärkere, d.
h. vermutlich alkoholreichere Biere. Dieses wahrscheinlich ungehopfte Einbecker
Starkbier, dessen Originalrezept" nicht bekannt ist, zeichnete sich vor
allem durch eine lange Lagerfähigkeit aus und eignete sich daher gut zum
Export. Es wurde von den Mitgliedern der Hanse, besonders von den Hamburgern,
die ihr Rathaus "Eimbekisch Haus" nannten, vertrieben." Die
Hauptabnehmer des Einbecker Bieres waren die Bayern, aber es wurde bis nach
Alexandria und Kairo verschifft." Die Bayern warben sogar Einbecker
Braumeister ab, um schließlich zu lernen, wie man Starkbier braut. Starkbier
war übrigens keine Erfindung des Mittelalters. Schon im Altertum kannte man
sehr stark gebraute, dickflüssige Doppelbiere, etwa das Di-Zythos der
Ägypter, Thraker und Griechen.
(Autor unbekannt, vermutlich entstammt der Beitrag dem Buch „Bier jenseits von Hopfen und Malz“ von Christian Rätsch. Bei Info über Autor und ggfs. Copyright bitte eMail an thomas [Admin hobbybrauer.de] senden.)