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Der Ur-Bock
Geschrieben am Sonntag, 18. Mai 2003 von hobbybrauer

Interessantes zum Bier und Bierbrauen Viele Starkbiere heißen heutzutage Bock, Steinbock, Doppelbock oder gar Ur-Bock. Auf Bieretiketten, Wirtshausschildern und in der Werbung erscheinen Ziegenböcke, Widder, Steinböcke und bocksgestaltige Teufel.
Der Begriff "Bock" in Verbindung mit Bier ist die letzte Erinnerung an den heidnischen Ritualtrank, an den Ur-Bock in seiner ursprünglichen Form.

Biere und Böcke gehören seit mindestens sechstausend Jahren zusammen. Bier und Bock sind die Insignien einer auf Getreideanbau und Hirtentum basierenden Kultur. Über der Darstellung eines babylonischen Opferkrugs schwebt ein Bock. Ischtar, der Liebes- und Biergöttin wurden neben dem Opferbier auch Opferböcke dargebracht. Die Ägypter von Mendes verehrten Ziegenböcke und Widder als Götter und brachten ihnen Trankopfer mit Bier dar. Der Bock ist das Ur-Symbol der natürlichen Sexualität, der Fruchtbarkeit und der zügellosen Kultur. Das Bier ist das Symbol für die menschliche Kultur. Im Bier- und Bockopfer vollzieht sich die Hochzeit von Natur und Kultur. Der Mensch dankt der Natur, weil er von ihr vollständig abhängig ist.

Aus der Antike stammen einige Götter, die Mischwesen aus Männern und Böcken sind. Der arkadische Hirtengott Pan hat den Oberkörper eines Mannes, aber die Beine eines Ziegenbockes. Ihn zieren zwei Bockshörner und ein gewaltiger Penis, der sich beim Anblick jedes weiblichen Wesens in deutlich sichtbare Erregung versetzt. Pan liebte nichts so sehr, wie den Frauen, Göttinnen und Nymphen nachzustellen, faul in der Nachmittagssonne zu verweilen und sich allen erdenklichen Räuschen hinzugeben. So trat er auch in die orgiastisch-wilde Gefolgschaft des Dionysos ein, tanzte und frohlockte mit den bocksbeinigen Satyrn und jagte die ekstatisch verzückten Mänaden und liebreizenden Nymphen.

Dionysos oder Bacchos gilt heute gemeinhin als Gott des Weines. Aber die Phrygier und Thraker, zwei Völker, die nördlich von Hellas auf dem Gebiet des heutigen Balkan lebten, verehrten ihn auch als Gott des Bieres, den sie Sabazios und später auch Dionysos Sabazios nannten.

"Die Mendesier rechnen Pan unter die acht Götter, die, wie sie glauben, älter sind als die zwölf Götter. Nun stellen die Maler und Bildhauer den Pan, eben wie bei den Hellenen, ziegenköpfig und ziegenfüßig dar, nicht etwa, weil sie ihm solche Gestalt zuschreiben, er gilt ihnen vielmehr den anderen Götter gleich; den Grund aber, veshalb sie ihn so darstellen, mag ich nicht gern sagen. Sie halten zwar alle Ziegen heilig, jedoch mehr die männlichen als die veiblichen, und deren Hirten stehen in höherem Ansehen als die Hirten anderer Tiere. Ein bestimmter Ziegenbock aber vird ganz besonders verehrt. Stirbt dieser, so trägt der ganze mendesische Gau grosse Trauer um ihn. Nun heißt der Bock, ebenso wie Pan, auf ägyptisch Mendes. Und in diesem Gau ist zu meiner Zeit das Wunder geschehen, dass sich ein Bock mit einem Weibe vor aller Augen begattete. Dies ist allen Menschen bekannt. "
Herodot II, 46

Der Name leitet sich von dem illyrischen Wort sabaja, "Bier", ab. Das berauschende Nationalgetränk der Thraker und Phrygier war ein ungehopftes, starkes Bier, das aus Dinkel gebraut wurde. Dinkel hieß tragos, und dieses Wort bedeutete auch "Ziegenbock". Unser Wort Tragödie stammt von dem griechischen tragodia, wörtlich "Gesang der Böcke" oder "Bocksgesang". Demnach kann Nietzsches Theorie der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik auch interpretiert werden als Geburt der Tragödie aus dem Geiste des Bieres. Oder war es die Geburt des Geistes aus dem Bier?

Sabazios galt den Thrakern und Phrygiern als der Gott des Ackerbaus, der Fruchtbarkeit und des Wachstums, der Geburtshilfe und als Gott des mystischen Rausches, des göttlichen Wahnsinns. Ihm zu Ehren wurden Mysterien gefeiert, wobei die Mysten mit einem berauschenden Bier in Ekstase versetzt und in die Geheimnisse von Leben, Tod, Wiedergeburt und Fruchtbarkeit, sprich in die inneren Zusammenhänge der Natur, eingeweiht wurden. Die Mysterien des Sabazios fanden zum Früh-jahrsfest statt, das im Zeichen des Widders, also eines Bockes, stand. Zu den Attributen des Sabazios gehörten Kornähren und Frösche oder Kröten. Aus diesen Amphibien wurden im Altertum die berühmten Liebestränke der thessalischen Hexen gebraut.

Die thrakischen Mysterien des Sabazios hielten später Einzug in das Römische Reich, wo man die Thraker Sabaiarii, "Biertrinker", nannte. Die Römer, die sich von diesem Kult angezogen fühlten oder die darüber geschrieben haben, identifizierten den Sabazios mit ihrem Gott Jupiter, dem Herrn des Blitzes und des Donners. Jupiter war mit dem Getreide verbunden; ihm wurden Hirse und vor allem Gerste geopfert. Die Iden, die Vollmondtage, waren ihm heilig. Sein wichtigstes Fest, die Judi Romana, fand vom vierten bis zum neunzehnten September statt, also etwa zu Erntedank. Als die Römer in die germanischen Gebiete vordrangen und über die Götter der "kulturlosen Barbaren" berichteten, identifizierten sie den fremden Donnergott Donar (Thor) mit ihrem heimischen Jupiter (besonders dem Jupiter tonans). Die Germanen erkannten umgekehrt in dem römischen Jupiter ihren Donnergott. Sie übernahmen die römischen Namen der Wochentage, die nach den Göttern benannt waren. Der römische Tag Jovis dies, der "Tag des Jupiters", wurde als Donnerstag, "Tag des Donars", in das Germanische übersetzt.º

Dem Donar waren die Böcke, sowohl Ziegenböcke als auch Widder, geweiht," die ihm zu Ehren bei großen Opferfesten mit anschließenden Trinkgelagen geopfert wurden. Donar war aber auch der Gott des Bieres, dem der größte Durst zugeschrieben wurde. Bei einer Wette sollte er das Trinkhorn eines Riesen mit drei Zügen leeren. Das Trinkhorn aber war durch eine List mit dem Weltmeer, übrigens Sitz des Meeresgottes Ägir, der oft für die Götterfeste kräftiges Bier braute, verbunden. Der Donnergott trank soviel von diesem Meer aus Bier, dass sich der Wasserspiegel drastisch senkte. So entstanden Ebbe und Flut."

Donar wurde als Schutzherr des Bierbrauens angerufen. Seine heiligen Pflanzen sollten das Bier vor dem Umkippen schützen. Der Gott erscheint in vielen Darstellungen mit Bocksbeinen, Pferdeschweif, Hörnern und einem riesigen Phallus - sozusagen eine germanische Ausgabe des griechischen Pan.

Das wichtigste Fest des Donnergottes fand im Frühjahr statt. Bei dem Opfer des geweihten Widders, der schlicht Bock genannt wurde, gab es einen Opfertrank aus Starkbier," der schon in frühen Quellen als Namensgeber für das Bockbier angeführt wird." Noch bis zum Jahre 1854 trank man in der Jachenau im Iserwinkel beim Schlachten eines Widders ein besonderes Starkbier.

Der Ur-Bock, der Trank des heidnischen Bockopfers, war also Teil des Rituals zu Frühlingsbeginn, ein Bock-Bier, das magische und aphrodisische Eigenschaften besaß.

Die Germanen verwendeten den Beifuss (Artemisia vu-garis) als Würzkraut des Bieres," das auch unter dem Namen Roter Bock bekannt war. Ein "Rotes Bock-Bier" hatte, bedingt durch das ätherische Öl des Beifusses, zweifellos stark berauschende und aphrodisische Eigenschaften. Beifuss ist seit dem Altertum als Fruchtbarkeitsspender, Heilmittel bei Frauenkrankheiten und als Erwecke der Liebeslust bekannt." In der frühen Neuzeit gab es im Bistum Wollin in Pommern ein Bier, das Bockhänger hieß, und als ein "wollüstiges Bier" bekannt war."

Schließlich ist der Ziegenbock ein uraltes Maskottchen und Abzeichen der Brauer und Brauereien. Das Zeichen des Bockes sollte eine magische Schutzwirkung auf das Vieh ausüben und unerwünschte Krankheiten vertreiben."

Die bierselige Bierliteratur" vertritt eine andere Version der Etymologie des Bockbieres. Das Bayerische Wörterbuch in der Ausgabe von 1872 gibt folgende Erklärung: "Wie aus Einbecker- oder Einbeckerbier dem gemeinen Mann, der in jedem ihm fremden Ausdruck gern einen handgreiflichen Sinn legt, Ainbock und endlich gar Bock werden konnte, ist begreiflich. Diese volkstümliche Neuformung ist indessen schon ein paar Jahrhunderte alt." Ganz ähnlich heißt es noch in der neuesten, der 18. Auflage des Großen Brockhaus: "Bockbier [aus bayr. Einbeck], Bock, Starkbier mit mindestens 16% Stammwürze, ursp. im März gesotten ..."

Nun ist in Einbeck, einem Ort der norddeutschen Hanse, seit dem 13. Jahrhundert das Brauen bezeugt. Die Einbecker Brauer verfeinerten im Laufe der Zeit ihre Kunst und brauten immer stärkere, d. h. vermutlich alkoholreichere Biere. Dieses wahrscheinlich ungehopfte Einbecker Starkbier, dessen Originalrezept" nicht bekannt ist, zeichnete sich vor allem durch eine lange Lagerfähigkeit aus und eignete sich daher gut zum Export. Es wurde von den Mitgliedern der Hanse, besonders von den Hamburgern, die ihr Rathaus "Eimbekisch Haus" nannten, vertrieben." Die Hauptabnehmer des Einbecker Bieres waren die Bayern, aber es wurde bis nach Alexandria und Kairo verschifft." Die Bayern warben sogar Einbecker Braumeister ab, um schließlich zu lernen, wie man Starkbier braut. Starkbier war übrigens keine Erfindung des Mittelalters. Schon im Altertum kannte man sehr stark gebraute, dickflüssige Doppelbiere, etwa das Di-Zythos der Ägypter, Thraker und Griechen.


(Autor unbekannt, vermutlich entstammt der Beitrag dem Buch „Bier jenseits von Hopfen und Malz“ von Christian Rätsch. Bei Info über Autor und ggfs. Copyright bitte eMail an thomas [Admin hobbybrauer.de] senden.)

 

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