Hallo zusammen,
ich hatte den untenstehenden Kurzbericht schon vor einigen Wochen unter den
Berliner Hobbybrauern verteilt und wollte ihn eigentlich in einen etwas
größeren Bericht ausbauen, aber im Moment komme ich schlicht und ergreifend
nicht dazu...
Wir waren im Juni und Juli für drei Wochen an der amerikanischen Westküste,
und ich liste jetzt mal in loser Reihenfolge die Tour-Highlights im
Hinblick auf Bier (Berichte über Familienbesuche etc. spare ich mir an
dieser Stelle
).
Also:
1)
Portland, OR
Ausgangspunkt unserer Reise. Biermekka mit ungefähr 50 Mikrobrauereien in
einer Stadt mit etwa 580.000 Einwohnern (Berlin, da ist durchaus noch Raum
nach oben!!).
Persönliche Höhepunkte:
a) Das zeitgleich mit unserer Ankunft stattfindende
10th Annual North
American Organic Brewers Festival (http://www.naobf.org/).
Zu zweit haben wir mehr als zehn Biere verkostet mit dem Schwerpunkt auf
dem warmen Wetter angemessene leichte Sommerbiere. Die meisten waren sehr
gut bis hervorragend. Sehr viel Vielfalt sowohl im Hinblick auf
Stilrichtungen als auch Zutaten (Süßkartoffeln, Früchte, Chili etc.
etc.)
b)
PINTS Brewing Co.
Kleine Braukneipe mitten in der Stadt, die wir eigentlich nur durch Zufall
gefunden haben. Überraschung: der Braumeister hat in Berlin studiert und
war leider für den Boom jetzt zu früh dran (Rückkehr in die USA 2006).
Macht die beste Berliner Weiße, die ich bisher in meinem Leben getrunken
habe, und ja, er macht sie mit Laktosegärung, obergäriger Hefe, und Brett!!
Er hat uns spontan die Brauerei gezeigt und hat(te) wohl auch ziemlich viel
zu tun mit Prof. Methner (VLB) in Bezug auf Rekreierung der
Schultheiß-Weißen, die er immer getrunken hat damals. Man schmeckts:
richtig klasse, wie nach dem Abklingen der Fruchtaromen und der Säure die
schon ein Jahr lang arbeitenden Bretts durchschlagen!!
Wir waren weiterhin in einem
Rogue Brewpub (teilweise sehr gut), bei
Deschutes (sehr viel Auswahl), bei
Cascade Brewing (einige
tolle Sauerbiere), bei
Hair of the Dog (sehr kräftige und
interessante Biere), bei
Stormbreaker Brewing (klein aber oho!).
Nicht geschafft haben wir Widmer (ich glaube, die waren Pioniere bei
amerikanischem Hefeweizen), Bridgeport Brewing (AIPA-Pioniere) und Upright
Brewing sowie zahlreiche andere...
2)
Brauereitour Anchor Brewing in San Francisco, CA
Ich hatte Anchor Brewing Mitte Juni für einen Termin am 11. oder 12. Juli
kontaktiert und mir wurde zu meiner Enttäuschung gesagt, man sei bis
September ausgebucht! Allerdings wurde mir auch gesagt, ich solle mich kurz
vor dem Termin noch mal melden, denn es könne sein, dass kurzfristig noch
was frei wird. Wir sind dann mehr oder weniger auf gut Glück zur Brauerei
marschiert mit dem Hintergedanken, dass, wenn es mit der Tour nicht klappt,
ich dann wenigstens die Brauerei von außen fotografieren kann. Das Ergebnis
war: man hat uns auf die Tagestour eine halbe Stunde nach unserer Ankunft
mitgenommen, obwohl die Tour eigentlich schon überbucht war! Ich fand das
sehr nett!
Die Tour war super: sehr schöne Brauerei, sehr unterhaltsam und informativ,
und die Kostproben waren äußerst großzügig. Wir haben insgesamt sechs Biere
verkostet, und ich fand alle sechs sehr gut: einfach, aber sehr rund,
voller Charakter und irgendwie zeitlose Klassiker (z.B. Anchor Steam,
Liberty Ale, Anchor Porter)! Im Gegensatz zu einigen anderen Brauereien hat
Anchor Brewing ein eher begrenztes Sortiment, und ein Bier mit 100 IBUs
und/oder bei Vollmond geernteten und dann in Schlangenöl gebratenen
Agavenblüten wird man dort eher nicht finden, aber die Biere, die sie
machen, sind alle richtig lecker. Außerdem waren Anchor sowas wie Pioniere
des Craftbiers! Ein echtes Highlight der Reise für mich!
Weiterhin nicht schlecht in San Francisco waren
21st Amendment (ein
paar sehr köstliche Biere). Eher zum Vergessen war Thirsty Bear...
3)
Brauereitour Firestone Walker, Paso Robles, CA
Pale 31 und Double Jack bekommt man ja schon in Deutschland. Die Gründer
haben einen Weinhintergrund und experimentieren sehr viel mit
Holzfassgärung und dem Verschneiden verschiedener Biere. Dazu holt man sich
sogar Inspiration von Weinbauern. Wir haben dort einiges verkostet, was man
hier nicht bekommt und was es auch nur am Hahn gab, u.a. ein "Pink" Opal
Saisonbier mit Rote Beete (Beet) für die Farbe "Beet (sic!!) Breast
Cancer", eine ungefilterte und 100% eichenholzvergorene Version des Double
Barrel Ale (lecker mit viel Vanille, Karamell und anderen Fassaromen) und
das Easy Jack (ein leichtes, herbes Blonde, was der Außentemperatur von
nahe 40°C angemessen war). Das Pils (Pivo) ist auch mehr als trinkbar, wenn
auch für meinen Geschmack etwas zu stark gestopft (mit Saphir: man kennt
sich aus!!). Definitiv ein weiteres Highlight der Reise!
Ausgefallen sind (leider, leider) Besuche bei Sierra Nevada und Russian
River Brewing (lagen beide auf einem Streckenteil, den wir mit dem
Schlafwagen durchfuhren), sowie allerlei anderem südlich von LA (u.a. Stone
in Escondido). Bei Rogue Ale in Newport waren wir auch, hatten aber keine
Zeit für eine Brauereitour. Warum ist dieses Land nur so verdammt groß??
So, nach all der Lobhudelei auch ein paar Dinge, die uns nicht so gefallen
haben. Erstens, richtig gute Lagerbiere können die Amis m.E. in der Breite
(noch) nicht, von Ausnahmen abgesehen. Die Pilsner waren oft langweilig und
irgendwie leer (Fragezeichen amerikanische Gerste) bzw. überstopft, und
das, was dort teilweise als böhmisches Pils ausgeschenkt wird, hat
garantiert noch kein Tennenmalz, geschweige denn eine Dekoktion gesehen.
Zweitens, ganz oft kamen wir in irgendwelche Braupubs, um dort aus einer
Speisekarte von zwanzig bis dreißig Bieren Tastersets zu wählen, nur um
dann festzustellen: wenig Exzellenz, jede Menge Mittelmaß und leider auch
ein paar peinliche Totalausfälle. Da werden m.E. einige der Rezepturen eher
mit heißer Nadel und/oder nach dem Motto "Viel hilft viel" gestrickt. Also:
warum nicht wenige(r) Biere machen, und die dann dafür richtig rund und
gut? Aber diese Frage kann ich nicht beantworten... denn sie liegt wohl in
der Mentalität und dem Denken begründet...
Als Fazit kann ich feststellen: der amerikanische Pioniergeist lebt und
arbeitet! Wir haben innert drei Wochen insgesamt etwa 120 Biere verkostet,
u.a. Sauerbiere, Fruchtbiere, Nudelbiere, Schlangenölbiere, Kartoffelbiere,
Käsebiere, belgische Biere, Saisonbiere, Lagerbiere, Ales, Weizenbiere etc.
etc. Auch wenn beileibe nicht immer alles 100%ig gelungen ist und es nicht
immer einfach ist, die Spreu vom Weizen zu trennen : es war eine
unglaubliche und ungeheure Vielfalt und Experimentierlust spürbar, die man
wohl nirgendwo sonst auf der Welt findet, und das finde ich klasse!
Bis später,
Tilo
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Johnny H. - All Grain Brewing