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Autor: Betreff: Danziger Jopenbier
Moderator
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flying
Beiträge: 9088
Registriert: 14.8.2008
Status: Offline
Geschlecht: männlich
red_folder.gif erstellt am: 24.5.2010 um 15:51  
Hi Leute,

kennt jemand diese ungewöhnliche Biersorte?

Hier aus "Braulotse":



Danziger Jopenbier



Einen Typ von ganz besonderer Art , der sich in den Begriff "Bier" eigentlich nicht einordnen ließ, stellte das "Danziger Jopenbier" dar ( Jope = Schöpfkelle ). Es hatte einen Extraktgehalt von unglaublichem 45 - 55 %. Jahrhundertelang konnte das Jopenbier seinen weltruf wahren, denn es wurde nicht nur innerhalb, sondern mehr noch ausserhalb der Stadtgrenzen geschätzt. Große Mengen gingen vom Ostseehafen nach England und Holland, wo es zur Bereitung von Suppen und Saucen Verwendung fand. Im Jahre 1891 beispielsweise betrug der Export von Danziger Jopenbier über 5000 Hektoliter. Im Inhald wurde es weniger zum Kochen, als vielmehr als Kräftigungsmittel , beispielsweise als Zumischung zu normalem Bier, eingesetzt.

Die Herstellung verlief folgendermaßen:

Die Maisch- und Läuterarbeit war wie bei normalen Bieren, die Hopfengabe betrug 700 - 800 g/hl. Die Kochzeit allerdings war extrem lang und betrug bis zu 10 Stunden. Manche Brauereien trennten auch die Vorderwürze und die Nachgüsse und kochten in zwei Pfannen. Die Kühlung erfolgte ausschließlich auf dem Kühlschiff. Gebraut wurde darum nur von September bis Mai. Nur in den Wintermonaten kühlte sich die Würze auf dem Kühlschiff schnell genug ab und war weitgehend vor Verderb geschützt. Ungewöhnlich waren die Gärkeller. Es waren Schuppen, die sich an Wänden und Boden mit Schimmel überzogen hatten. Dieser Schimmelrasen durfte nicht entfernt werden. Er galt als der Hausgeist, der die spontane Gärung hervorruft und dem Bier seine dem Portwein ähnliche Prägung verlieh. Ungewöhnlich war der Verlauf der Gärung, die sich in einer Reihe verschiedener Phasen vollzog. In der ersten Phase überzog sich die Würze, in die keine Hefegabe erfolgte, mit einer weißen Schimmelschicht, die innerhalb von 2 - 3 Wochen in grün / blau überging. Dann entwickelten sich Gärblasen, die begannen, die Schimmeldecke zu heben. Jetzt wurde die Decke abgehoben und die Gärung verstärkte sich. Der Bottich wurde dann mit einem Deckel, in dessen Mitte ein Loch war, und der mit einer umlaufenden Rinne versehen war, verschlossen. Die nur halb gefüllten Bottiche schäumten während ca. 14 Tagen stark über und das überlaufende Bier wurde in Wannen gesammelt und zurückgeschüttet. Die Nachgärung im Bottich dauerte weitere 2 - 4 Wochen, dann kam die Gärung zum Stillstand und das Bier überzog sich wieder mit einer grünlichem Schimmeldecke. In diesem Zustand blieb das Bier nun, je nach Absatzentwicklung, bis zu 1 Jahr liegen. Vor dem Verkauf wurde es durch Säcke filtriert und üblicherweise auf 13 Litzer Fässer abgefüllt. Lange war die Gärung ein Mysterium. Erst E. Glimm vermochte eine Klarstellung der für die Gärphasen verantwotlichen Mikroorganismen zu erarbeiten. Die Gärungsorganismen waren Penicillium und Mucor Schimmelpilzstämme, sowie unter- und obergärige Saccharomyces Hefen, Weinhefen und Kahmhefen. Weiterhin waren Milchsäurebakterien enthalten, die im Jopenbier bis zu 2% Milchsäure bildeten. Die estrige Note wurde durch die Schimmelpilze und Kahmhefe verursacht.




Wenn man die Herstellungsweise betrachtet so war es wohl mehr eine Art Medizin. Durch die Infizierung mit dem Penicillin-Schimmel hat es wohlmöglich sogar gegen die Pest geholfen....
Alles in allem eines der ungewöhnlichsten Biere von dem ich je gehört habe!


m.f.g
René


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"Fermentation und Zivilisation sind untrennbar verbunden"
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Kurt
Beiträge: 2795
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red_folder.gif erstellt am: 24.5.2010 um 17:14  
Wahnsinn! Super Text! Wer braut es nach? ;)
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flying
Beiträge: 9088
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Geschlecht: männlich
red_folder.gif erstellt am: 24.5.2010 um 17:53  
Hi Kurt,

ein nachbrauen wird sicherlich unmöglich sein. Das Mikroklima, dass in diesen "Gärschuppen" herrschte ist für immer verloren. Versuche mit Schimmelkulturen sollten jedoch möglich sein, um etwas ähnliches zu erzeugen.
So steht bei Wikipedia im Artikel über "Penicillin":

Schon die Nubier verwendeten ein Bier mit antibakteriellen Wirkstoffen. Die Alten Ägypter versorgten Entzündungen mit aus Getreide gebrauten Heiltränken. In der Antike und im Mittelalter legten Chirurgen schimmelige Lappen auf Wunden, um Infektionen vorzubeugen. Die Wirkstoffe wurden jedoch nicht als solche erkannt, der Begriff des Antibiotikums wurde erst mit dem Penicillin eingeführt.

Ich meine sogar, einen Hinweiß auf die Schimmelkultur gefunden zu haben. Der Edelschimmel Penicillium roqueforti (im Blauschimmelkäse) erzeugt zuerst einen weißen und dann einen blau-grünen Schimmelrasen. Genau wie in dem Bericht beschrieben.
Mucor-Arten sind meist giftig. Es gibt aber welche, die in alten Kulturen (China, Mexico) zur Fermentation eingesetzt werden.


[Editiert am 24.5.2010 um 17:58 von flying]



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Hefeknuddler
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red_folder.gif erstellt am: 24.5.2010 um 20:52  
Hi René,
und meinte gerade, bevor ich dein letztes Poating gelesen hatte: "Hey super, da schmeiß ich das nächste mal nen Gorgonzola in die Würze!", und dann lese ich vom Blauschimmelkäse!!!

Nee, also die Bierwelt ist echt zu verrückt...

Gruß von Davide, der gerade ein "Das Naturtrübe" von Schwabenbräu verkostet, dass irgendwie nach Bohnen und Speck riecht!!!


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Moderator
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flying
Beiträge: 9088
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red_folder.gif erstellt am: 25.5.2010 um 13:35  
Das Danziger Jopenbier wird unter anderen in diesem Buch beschrieben:


http://www.buecher.de/shop/kochen--geniessen/radical-brewing- recipes-tales-and-world-altering-meditations-in-a-glass/mosher-randy/produc ts_products/detail/prod_id/21993000/


Ansonsten steht der Eintrag hier im Forum bereits jetzt an erster Stelle in der Google-Suche. Das heißt, kaum ein Mensch auf der Welt kennt dieses einst "weltberühmte" Gebräu.
Und wenn doch irgendwo auf der Welt ein Bierenthusiast davon hört, stößt er unweigerlich auf unser Forum hier. Fazinierend.....

m.f.g
René


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red_folder.gif erstellt am: 25.5.2010 um 14:04  
Hallo miteinander,
ist ja wirklich ein interessanter Artikel, Rene. Das hört sich an, wie eine Mischung aus Maggi, Sojasauce und Medizin. Und die Beschreibung des Gärverlaufes macht auch nicht unbedingt Appetit.
Aber ich war mal in der Karibik in einer Rumdestille. Das hat dort nicht gut gerochen und der ganze Arbeitsprozess hat auch keine Lust auf Rum gemacht.
Das Ergebnis war trotzdem sehr lecker und wenns hilft.
Gruss Stephan
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Bierjunge
Beiträge: 2084
Registriert: 28.10.2009
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red_folder.gif erstellt am: 25.5.2010 um 19:42  
Hochinteressant! Das zeigt einmal mehr, wie schmerzfrei man geschmacklich in früheren Jahrhunderten offenbar war... Dazu eine Erfahrung:

Ich habe vor ein paar Wochen eine Reihe Bierfässer aus einem Nachlass übernommen. Einige davon hatten nun seit gut einem Jahr(!) gefüllt, aber mit offenem Spund herumgestanden. Auf der Flüssigkeit wuchs eine ledrige Rinde (kaum als Haut zu bezeichnen), die mich in Festigkeit und Textur an die Rinde von Camembert erinnert hatte. Vielleicht ebenfalls eine Symbiose von Kahmhefen und Schimmel?
Den Geruch, den die Flüssigkeit darunter verströmte, vermag ich nicht in angemessene Worte zu fassen. :puzz: Ich musste aber in der Tat u.a. an Suppenwürze denken. Autolyse? Es passt aber zum obigen Artikel, "wo es zur Bereitung von Suppen und Saucen Verwendung fand".
Wie auch immer, es kostete mich einiges an Überwindung und Natronlauge, die Bescherung wegzubekommen. Davon zu probieren hätte ich aber niemals fertiggebracht!
Oder habe ich unwissentlich eine gesuchte und sehr seltene Spezialität beseitigt? :o
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Moderator
Posting Freak

Erlenmeyer
Beiträge: 2659
Registriert: 24.8.2007
Status: Offline
Geschlecht: männlich
red_folder.gif erstellt am: 25.5.2010 um 20:01  
Eindeutig ja !

Ein heroischer Selbstversuch hätte dir im Falle deines Ablebens einen Platz in der Regensburger Walhalla gesichert. So werden wir die Zusammensetzung des Hefeteppichs nie erfahren.

Seufzende Grüße

Hans


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"Oh Bier, manchmal reichst du mir!"
Alfred Katzka
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