Hallo zusammen,
ich möchte einen kleinen Exkurs über dieses Thema verfassen weil ich mich
gerade mit diesem Thema befasse. Dazu möchte ich die Formel von Wyeast
erwähnen zur Errechnung der Viabilität in Abhängigkeit der Lagerdauer.
Viabilität beschreibt wie viele Hefezellen in einer Hefensuspension tot
sind (in Prozent). Eine gesunde Hefe hat eine Viabilität von >95%.
Heisst, von 100 Hefezellen sind 95 noch am leben. 5 sind tot.
Bitte
beachten, diese Formeln sind nur Faustformel und können von Hefestamm zu
Hefestamm verschieden sein!
Kauft man sich einen frischen Aktivator von Wyeast der nur wenige Tage alt
ist, geben sie eine Viabilität von 97% an. Das bedeutet, dass im Aktivator
von den abgefüllten 100E9 Hefezellen nur 97E9 Zellen lebend sind. 3E9 sind
schon tot. Durch die Lagerung nimmt dann die Viabilität langsam ab:
Fig 1: Viabilität als Funktion der Lagerdauer in Tage
Angenommen ich habe einen Aktivator gekauft der vor 30 Tagen von Wyeast
hergestellt wurde. Der Fig 1 ist dann zu entnehmen, dass die Viabilität
noch knapp 75% entspricht. Lagere ich den Aktivator für 60 Tage, sinkt die
Viabilität auf 55%. Das würde bedeuten, dass von den ursprünglichen 100E9
Hefezellen im Packet nur noch 55E9 leben.
Warum sollte ich mir gedanken zur
Viabilität machen?
Ich denke pitching rates sind für viele bekannt. Hierbei geht es darum,
beim Anstellen der Würze die richtige Menge an Hefe zuzugeben. Diese kann
man entweder mit einer Faustregel berechnen (1 Mio Hefezellen je Plato und
mL Anstellwürze) oder mit online Rechentools (wie z.B.
Mrmalty's Yeast
calculator).
Angenommen ich möchte ein Ale (20 L, 13.3°P) mit Hefe anstellen. Dazu
bräuchte ich ungefähr 200E9 Zellen (0.75E6 cells mL-1 °P-1 x 20000 mL x
13.3°P = 200E9 cells). Ich kaufe mir nun zwei Packete (ingesamt 200E9
Hefezellen) von Wyeast damit ich genügend Hefe habe. Leider habe ich keine
Zeit für den Sud und lagere die beiden Aktivatoren für 40 Tage im
Kühlschrank. Danach braue ich den Sud und stelle ohne mir Gedanken zu
machen den Sud an.
Rechnen wir kurz nach was passierte. Nach 40 Tagen ist die Viabilität in
den Aktivatoren auf ungefähr 69E9 Zellen gesunken. Damit habe in den beiden
Aktivatoren zusammengerechnet noch 138E9 Zellen (von den ursprünglichen
200E9). Wenn ich mit diesen beiden Aktivatoren den Sud anstelle, pitche ich
zuwenig Hefe. Diese Menge würde nur zum Anstellen von knapp 13.8 L Bier
reichen. Ich würde also underpitchen (zuwenig Hefe) und müsste mit
Fehlaromen rechnen.
Es ist nicht nur wichtig zu wissen welche Menge Hefe ich zum Anstellen
brauche, sondern auch die Viabilität im Kopf zu behalten. Es nützt nichts
eine riesige Hefemenge zu haben wenn die Viabilität tief ist. Vergären
können nur die lebenden Hefezellen...
Wie kann ich die Viabilität
erhöhen?
Die Viabilität von Hefe kann mit Startern erhöht werden. Dabei vermehren
sich die lebenden Zellen neu und erhöhen somit die Viabilität. Dabei
bleiben jedoch die toten Zellen weiterhin in der Hefepopulation. Es ist
demnach nicht möglich die Viabilität auf ein Niveau eines frischen
Aktivators anzuheben. Dazu eine weitere Funktion:
Fig 2: Maximal erreichbare Viabilität durch einen 1 L Starter in
Abhängigkeit der Lagerdauer
Bitte beachten, die Funktion in Fig 2 stimmt nur für 1 L Starter (100 g
Trockenmalzextrakt auf 1 L Wasser). Wenn wir zum Beispiel mit dem Aktivator
(40 Tage gelagert) aus dem Beispiel von oben einen 1 L Starter machen. Was
passiert mit der Viabilität? Laut Fig 1 war die Viabilität nach 40 Tagen
bei 69%. Wenn wir nun einen 1 L Starter mit dem Aktivator ansetzten, steigt
die Viabilität auf 80%. Das hilft uns so noch nicht weiter. Dazu eine
weitere Funktion.
Fig 3: Zunahme der Hefezellen nach einem 1 L Starter (ohne Rühren)
Wir haben errechnet, dass die Viabilität nach dem Starter auf 80%
angestiegen ist. Das interessiert uns eigentlich nichts. Uns interessiert
ja wieviel Hefe nach dem Starter vorhanden sind. Das kann man aus Fig 3
entnehmen. Stellen wir also einen 1 L Starter mit einem 40 Tage alten
Aktivator an, steigt die Hefenmenge auf 125E9 Zellen lebende Zellen an. Im
Ganzen sollten nun im Starter sein: 125E9 lebende Zellen und 31E9 tote
Zellen. Die toten Zellen interessieren uns jedoch nicht. Nur ein kleines
Beispiel am Rande. Wenn wir von einem frischen Aktivator ein1 L Starter
ansetzen, haben wir ungefähr 150E9 lebende Zellen (Fig 3). Ein 1 L Starter
lässt uns also die Hefemenge um 1.5x zunehmen.
Wie kann ich die Funktionen
verwenden?
1. Ausrechnen welche Hefemenge zum Anstellen gebraucht werden (vgl.
pitching rates)
2. Mit Fig 1 die Viabilität ausrechnen und nachrechnen, ob im Aktivator
noch genügend Zellen zum Anstellen vorhanden sind
3. Sind nicht genügend Zellen vorhanden? Nachrechnen wie gross die
Hefemenge nach einem 1 L Starter ist (Fig 3).
4. Sind noch immer nicht genügend Zellen vorhanden? Aktivator entsorgen!
Machen wir ein weiteres Beispiel:
Ich möchte Anstellen 20 L Ale mit 8.8°P. Habe einen Aktivator der 30 Tage
alt ist.
1. Benötige 132E9 Zellen (20000 x 0.75 Mio x 8.8)
2. Ich entnehme (oder berechne) aus Fig 1, nach 30 Tagen ist die Viabilität
bei 76%. Demnach noch 76E9 Zellen von den ursprünglichen 100E9 Zellen
vorhanden.
3. Reicht also nicht zum Anstellen. Dann gehen wir zu Fig 3 und rechnen
aus, dass nach einem 1 L Starter lebende 131.5E9 Zellen vorhanden sind.
Also genug zum Anstellen.
Ich stell mir also einen 1 L Starter vom 30 tägigen Aktivator an und habe
danach genug Hefe zum anstellen.
Ich arbeite nicht mit Aktivatoren
sondern White Labs Vials. Was nützen mir die Diagramme?
Funktioniert auch weil im White Labs Vial ebenfalls um 100E9 Zellen
vorhanden sind.
Ich arbeite mit Trockenhefen. Muss
ich mir gedanken zur Viabilität machen?
Nein, solange die Hefe vor dem Ablaufdatum verwendet wird, ist die
Viabilität der Trockenhefe zu ignorieren.
Ich stelle geerntete Hefe in den
Kühlschrank. Wie kann ich die Viabilität errechnen?
Die Viabilität der Hefe kann mit Fig 1 abgeschätzt werden. Da es sich bei
der Funktion in Fig 1 um einen Idealfall für technisch hergestellte, sauber
abgepackte Hefe handelt, wird sich die Viabilität in geernteter Hefe
ungefähr gleich verhalten (oder noch steile abnehmen).
Dazu ein Beispiel. Ich habe einmal für 2 Monate (60 Tage) eine geerntete
WLP002 English Ale in Bier im Kühlschrank gelagert und dann die Viabilität
mit einer Methylenblaufärbung bestimmt. Methylenblau färbt die toten
Hefezellen blau an. Die lebenden bleiben farblos.
Fig 4: Geerntete WLP002 nach 8 Wochen Lagerung im Kühlschrank
Ich denke es ist nich schwierig zu erkennen, dass die meisten Hefezellen
blau sind (Fig 4). Sprich tot. Laut Fig 1 müsste die Viabilität nach 60
Tagen um 55% liegen. Damit müssten also ungefähr die Hälfte der Zellen
blau, die anderen farblos sein. Aus Fig 4 ist zu entnehmen, dass ungefähr
>90% der Zellen tot sind. Wie schon erwähnt, Fig 1 kann als Grundlage
verwendet werden. Die Viabilität wird jedoch aus meiner Erfahrung immer
tiefer sein als errechnet (wie im Beispiel in Fig 4 gezeigt).
Daraus lässt sich der Schluss ziehen, geerntete Hefe nicht länger als zwei
Wochen aufzubewahren. Das wird auch von verschiedenen Quellen so empfohlen.
Zum Schluss. Klar kann man mit einer vor 5 Monate geernteten Hefe einen Sud
anstellen. Nur stellt sich hier die Frage, wie die Gärung abläuft und dann
das Bier schmeckt. Viele tote Hefen im Bier können das Bier geschmacklich
stark beeinflussen. Bisher war die Viabilität meiner geernteten Hefe nach
zwei Wochen noch akzeptabel. Ansonsten würde ich empfehlen, die Hefe sofort
nach dem Ernten weiterzuverwenden oder nicht länger als zwei Wochen zu
lagern. Möchte man sie länger lagern, bitte mit Glycerin einfrieren.
Cheers, Samuel